§ 14 Pflegeversicherungsgesetz

Begriff der Pflegebedürftigkeit

(1) Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen.

(2) Maßgeblich für das Vorliegen von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sind die in den folgenden sechs Bereichen genannten pflegefachlich begründeten Kriterien:
1. Mobilität: Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen;
2. kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen, Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben, Verstehen von Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von Aufforderungen, Beteiligen an einem Gespräch;
3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Beschädigen von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen;
4. Selbstversorgung: Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma, Besonderheiten bei Sondenernährung, Besonderheiten bei parenteraler Ernährung, Bestehen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen;
5. Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen:
a) in Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel,
b) in Bezug auf Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung,
c) in Bezug auf zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern sowie
d) in Bezug auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften;
6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, Sichbeschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds.

(3) Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, die dazu führen, dass die Haushaltsführung nicht mehr ohne Hilfe bewältigt werden kann, werden bei den Kriterien der in Absatz 2 genannten Bereiche berücksichtigt.

Begründung des Gesetzgebers für die Neufassung von § 14 SGB XI:

Zu Absatz 1

Allgemeines

Der Begriff der Pflegebedürftigkeit und das damit verbundene Begutachtungsinstrument wurden schon bei Einführung der Pflegeversicherung umfassend diskutiert. Kritisiert wurde, dass der Pflegebedürftigkeitsbegriff zu eng auf Alltagsverrichtungen, die häufiger bei vorrangig körperlich beeinträchtigten Menschen vorkommen, abstellt und damit kognitive oder psychische Beeinträchtigungen nicht hinreichend erfasst werden. Dies führte in der Praxis dazu, dass psychisch und kognitiv beeinträchtigte Menschen einschließlich der wachsenden Zahl an Demenz erkrankter Menschen im Vergleich zu vorrangig körperlich beeinträchtigten Pflegebedürftigen durchschnittlich niedrigere Pflegestufen erreichten. Trotz der Einführung und des zwischen 2002 und 2015 schrittweise erfolgten Ausbaus von zusätzlichen Leistungen für Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz in der Pflegeversicherung haben diese nach wie vor durchschnittlich niedrigere Leistungsansprüche als Pflegebedürftige mit einer vorrangig körperlichen Beeinträchtigung. Der Pflegebedürftigkeitsbegriff wurde zudem als zu stark defizitorientiert und nicht hinreichend pflegefachlich fundiert angesehen.

Auch die Begutachtung von Kindern wurde als pflegefachlich nicht hinreichend fundiert kritisiert. Zum 1. November 2006 hat das Bundesministerium für Gesundheit daher einen Beirat zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs eingesetzt, der als Grundlage einer zukünftigen Entscheidung über eine Änderung des geltenden Pflegebedürftigkeitsbegriffs konkrete und pflegefachlich fundierte Vorschläge und Handlungsoptionen für einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein damit korrespondierendes, bundesweit einheitliches Begutachtungsinstrument erarbeiten sollte. Der Beirat hat am 26. Januar 2009 seinen Bericht vorgelegt. Im Bericht wurde der Vorschlag für einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff unterbreitet und die Einführung des pflegefachlich fundierten NBA als neues Begutachtungsinstrument im Rahmen der Pflegeversicherung vorgeschlagen.

Am 20. Mai 2009 folgte ein Umsetzungsbericht des Beirats, der erste Umsetzungsvorschläge für die Einführung des neuen Begriffs und des NBA enthielt. Zur Klärung von fachlichen, administrativen und rechtstechnischen Fragen der Umsetzung, die in den ersten Berichten noch nicht hinreichend konkretisiert wurden, setzte das Bundesministerium für Gesundheit zum 1. März 2012 den Expertenbeirat zur konkreten Ausgestaltung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs ein. Aufgabe des Expertenbeirats war, konkrete Vorschläge sowie einen realistischen, zügigen Zeitplan für die einzelnen Umsetzungsschritte (Roadmap) vorzulegen. Der Expertenbeirat legte am 27. Juni 2013 seinen Bericht vor. In seinem Bericht stellte er die grundsätzliche Einführungsreife des NBA fest und empfahl die Praktikabilität der vom Expertenbeirat vorgeschlagenen Modifikationen im Rahmen einer Studie zu überprüfen und eine Evaluationsstudie vor der gesetzlichen Einführung durchzuführen. Beide Studien wurden im April 2015 vorgelegt und haben die Einführungsreife des NBA bestätigt. Die Erkenntnisse aus den Studien werden im Rahmen der Umsetzung berücksichtigt.

Zum 1. Januar 2017 werden der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und das NBA als Begutachtungsinstrument im Rahmen des Verfahrens zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit in der sozialen Pflegeversicherung eingeführt. Die Feststellung von Pflegebedürftigkeit mit dem NBA führt dazu, dass alle Antragsteller eine pflegefachlich fundierte, differenzierte und der Schwere ihrer jeweiligen Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten entsprechende Einstufung erhalten. Viele Pflegebedürftige, insbesondere solche mit vorrangig kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen, erzielen dadurch auch höhere Leistungsansprüche. Damit stehen vielen Pflegebedürftigen mehr Leistungen zur Verfügung. Dies ermöglicht eine weitere Verbesserung der pflegerischen Versorgung und entlastet Pflegebedürftige und ihre Familien. Die gesonderte Feststellung einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a in der Fassung bis zum 31. Dezember 2016 ist ab diesem Tag nicht mehr erforderlich. Denn das NBA berücksichtigt bereits die entsprechenden Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten. Darüber hinaus werden zukünftig weitere für Personen mit kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen relevante Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten erfasst. Ab dem Stichtag wird es daher nur noch ein Feststellungsverfahren für Pflegebedürftigkeit geben (Ermittlung des Pflegegrads mit dem NBA).

Alle Pflegebedürftigen haben – abhängig von ihrem Pflegegrad – Zugang zu den gleichen Leistungen. Zusätzliche Leistungen für einzelne Personenkreise sind nicht mehr erforderlich, da das Begutachtungsinstrument mit seiner Bewertungssystematik zu einer Gleichbehandlung der verschiedenen Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten entsprechend ihrem Schweregrad führt. Mit dem Ersten Pflegestärkungsgesetz wurden daher im Vorgriff auf diese Gleichstellung bereits die Leistungsansprüche der §§ 45b und 87b, die zuvor nur Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz zur Verfügung standen, auf alle Pflegebedürftigen ausgeweitet. Gleichzeitig wurde der Zugang von Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz ohne Pflegestufe (so genannte Pflegestufe 0) zu Leistungen, die vormals nur Pflegebedürftigen mit einer Pflegestufe zur Verfügung standen, ermöglicht (z. B. §§ 38a, 39, 40, 41, 42 und 45e).

Mit den Maßnahmen des Ersten und Zweiten Pflegestärkungsgesetzes wird die Pflegeversicherung insgesamt gerechter. Die pflegerische Versorgung und solidarische Absicherung der Pflegebedürftigen und ihrer Familien werden verbessert. Mit dem neuen Pflegegrad 1 wird zudem der Aspekt der Prävention bei Pflegebedürftigkeit gestärkt, da die Zugangsschwelle zu bestimmten Leistungen der Pflegeversicherung niedriger liegt als die bisherige Schwelle der erheblichen Pflegebedürftigkeit. Dadurch und über die verstärkte Berücksichtigung von Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten kognitiv und psychisch beeinträchtigter Menschen wird der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert. Zugleich sind der neue Begriff und das neue Begutachtungsinstrument soweit konkretisiert und hinsichtlich der wesentlichen Aspekte von Pflegebedürftigkeit abschließend gefasst, dass einerseits Rechtssicherheit geschaffen wird, andererseits keine unkontrollierte Ausweitung des Personenkreises der Anspruchsberechtigten zu befürchten ist, der die Solidargemeinschaft über das vernünftige Maß einer Teilabsicherung des Risikos der Pflegeversicherung belasten könnte. Eine Vollabsicherung ist auch mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff nicht beabsichtigt. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff modernisiert auch die pflegerische Versorgung. Er ist pflegefachlich auf dem aktuellen Stand, berücksichtigt alle relevanten Aspekte von Pflegebedürftigkeit umfassend (z. B. neben kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen auch erstmals die Bewältigung von und den Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Belastungen und Anforderungen) und ist an den (verbliebenen) Ressourcen und Fähigkeiten des Pflegebedürftigen, nicht vorrangig an seinen Defiziten orientiert. Damit wird der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff Grundlage und Impuls für moderne und pflegefachlich noch besser fundierte Leistungen und eine entsprechende Leistungserbringung in der Pflegeversicherung.

Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und insbesondere das NBA wurden für die Zwecke der Feststellung des Leistungszugangs und der Verbesserung und fachlich fundierte Weiterentwicklung der pflegerischen Versorgung und der Pflegeversicherung geschaffen. Der Pflegebedürftigkeitsbegriff ist für andere Sozialleistungssysteme ohne ausdrückliche Verweisung rechtlich nicht verbindlich und nur hinsichtlich seiner fachlichen Grundlegung als Beitrag zu einem fachlich geprägten, umfassenden Verständnis von Pflegebedürftigkeit anzusehen.

Definition

Als pflegebedürftig werden Personen definiert, die aufgrund von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen ihrer Selbständigkeit oder ihrer Fähigkeiten nach Maßgabe der im Gesetz abschließend festgelegten Kriterien in den festgelegten Bereichen der Hilfe durch andere bedürfen. Der Hilfebedarf muss auf den in den Kriterien beschriebenen, gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten beruhen; andere Ursachen für einen Hilfebedarf bleiben außer Betracht. Die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten werden personenbezogen und unabhängig vom jeweiligen (Wohn-) Umfeld ermittelt. Dabei sind nur solche Personen pflegebedürftig, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen sowie gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Damit wird noch einmal verdeutlicht, welche Problemlagen im Rahmen der in Absatz 2 konkretisierten Bereiche vom neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff erfasst werden. Der Pflegebedürftigkeitsbegriff und damit auch seine Legaldefinition werden deutlich erweitert. Er bezieht zukünftig unter anderem solche Personen mit ein, deren erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz nach § 45a in der Fassung bis zum 31. Dezember 2016 in einem gesonderten Verfahren festgestellt wird. Pflegebedürftige sind zukünftig alle Menschen, die aufgrund der Begutachtung mit dem NBA einen Pflegegrad erhalten, unabhängig davon, ob der Schwerpunkt ihrer gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen im körperlichen, kognitiven oder psychischen Bereich liegt.

Dauer

Pflegebedürftigkeit soll weiterhin immer dann solidarisch abgesichert werden, wenn sie längerfristig und nicht nur gelegentlich besteht. Eine zeitliche Untergrenze bilden Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten mit daraus resultierendem Bedarf an Hilfe durch andere, die voraussichtlich für mindestens sechs Monate vorliegen. Die Entscheidung über das Vorliegen einer voraussichtlich längerfristigen Pflegebedürftigkeit kann bereits vor dem Ablauf von sechs Monaten getroffen werden, wenn die Dauerhaftigkeit vorhersehbar ist. Dauerhaftigkeit ist auch dann gegeben, wenn die verbleibende Lebensspanne möglicherweise weniger als sechs Monate beträgt.

Zu Absatz 2

Die in Absatz 2 aufgelisteten sechs Bereiche, in denen der Schweregrad der individuellen Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten ermittelt wird, umfassen jeweils eine Gruppe artverwandter Kriterien oder einen Lebensbereich. Sie stellen einen abschließenden Katalog der zu berücksichtigenden Kriterien dar, anhand derer Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten festgestellt werden sollen. Der abschließende Charakter ist erforderlich, weil die Zuordnung zu unterschiedlichen Leistungsgruppen (Pflegegraden) aus einer Gesamtschau aller zu berücksichtigenden Bereiche und Kriterien abgeleitet wird. Die Kriterien der Bereiche des Absatzes 2 sind pflegefachlich begründet und wurden im Rahmen des achtjährigen Entwicklungsprozesses fachwissenschaftlich abgesichert und in der Begutachtungspraxis erprobt. Sie entsprechen dem internationalen Stand der pflegewissenschaftlichen Forschung. Die einzelnen Kriterien werden im Rahmen der Begutachtungs-Richtlinien nach § 17 in der Fassung ab dem 1. Januar 2017 durch den Spitzenverband Bund der Pflegekassen pflegefachlich konkretisiert. Insbesondere werden in den Begutachtungs-Richtlinien die fachlichen Hintergründe und Inhalte der Kriterien hinterlegt, an die die Gutachter des MDK und unabhängige Gutachter bei der Begutachtung bundesweit gebunden sind. Die Bereiche Selbstversorgung und Mobilität (Nummer 4 und Nummer 1) sind inhaltlich mit den vom bisherigen Begutachtungsinstrument erfassten Bereichen des § 14 Absatz 4 in der Fassung bis zum 31. Dezember 2016 vergleichbar. Die Bereiche kognitive und kommunikative Fähigkeiten (Nummer 2) und Verhaltensweisen und psychische Problemlagen (Nummer 3) beinhalten grundsätzlich auch solche Kriterien, die bisher im Rahmen der Feststellung einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a in der Fassung bis zum 31. Dezember 2016 erfasst werden, allerdings in pflegefachlich verbesserter und umfassenderer Art und Weise.

Das gesonderte Feststellungsverfahren nach § 45a in der Fassung bis zum 31. Dezember 2016 wird damit entbehrlich. Der Bereich Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen (Nummer 5) erfasst Kriterien, die im Rahmen der Begutachtung auf der Basis des bisherigen Pflegebedürftigkeitsbegriffs nicht berücksichtigt werden. Sie sind dem Themenkreis der selbständigen Krankheitsbewältigung zuzuordnen, und zwar insbesondere der krankheitsbezogenen Arbeit, die direkt auf die Kontrolle von Erkrankungen und Symptomen sowie auf die Durchführung therapeutischer Interventionen bezogen ist. Hierbei geht es ausdrücklich nicht darum, den Bedarf an Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege bzw. Behandlungspflege nach dem SGB V einzuschätzen. Insoweit gilt § 13 Absatz 2. Diese Leistungen werden auch weiterhin in der häuslichen Versorgung von der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht; in der vollstationären Versorgung im Rahmen des § 43 von der Pflegeversicherung. Ein Großteil der hier aufgeführten Maßnahmen und Handlungen kann von erkrankten Personen eigenständig durchgeführt werden, sofern sie über die körperlichen, kognitiven und psychischen Fähigkeiten, z. B. spezifische Fertigkeiten, Motivation oder Kenntnisse verfügen. Dies gilt auch für Maßnahmen, die nur selten von den Erkrankten selbst durchgeführt werden, wie z. B. das Absaugen von Sekret oder die regelmäßige Einmalkatheterisierung. Mit diesem Bereich wird daher häufig ein Hilfebedarf bei der Anleitung und Motivation oder eine Schulung der erkrankten Person zu bestimmten Maßnahmen verknüpft.

Aus dem Bereich Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte (Nummer 6) wird im bisherigen Begutachtungsinstrument nur das Kriterium Ruhen und Schlafen teilweise erfasst. Die weiteren in dem Bereich enthaltenen Kriterien werden bisher als Betreuung und allgemeine Beaufsichtigung qualifiziert, die über die konkrete Anleitung und Beaufsichtigung bei Verrichtungen hinausgeht und bisher nicht zu den maßgeblichen Verrichtungen des bisherigen Pflegebedürftigkeitsbegriffs gehört. Die bisherigen Formen der Hilfeleistung (unmittelbare Erledigung für den Pflegebedürftigen im Sinne einer Kompensation, Anleitung oder Beaufsichtigung) bleiben erhalten, sind aber kein Bestandteil des Pflegebedürftigkeitsbegriffs mehr, sondern werden durch das Leistungsrecht der Pflegeversicherung definiert. Mit dem bisherigen Pflegebedürftigkeitsbegriff entfällt zukünftig auch die Fokussierung auf vorwiegend kompensatorischen Hilfen sowie auf die Beschränkung der Anleitung und Beaufsichtigung, soweit sie im engen Kontext der Verrichtungen des täglichen Lebens stehen. Insgesamt werden mit den neu einbezogenen bzw. erweiterten Kriterien der Pflegebedürftigkeit gerade in den Bereichen der Nummern 2, 3, 5 und 6 zukünftig Kriterien berücksichtigt, die einen Hilfebedarf im Bereich der Anleitung, Motivation und Schulung nach sich ziehen und dadurch die Selbständigkeit und Fähigkeiten der Pflegebedürftigen stärken. Eine Anleitung im Sinne der aktivierenden Pflege bleibt ein wichtiger Bestandteil der Leistungserbringung, der durch das NBA zukünftig eine größere Rolle spielen wird.

Zu Absatz 3

In Absatz 3 wird klargestellt, dass die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, die dazu führen, dass die Haushaltsführung nicht mehr ohne Hilfe bewältigt werden kann, bereits im Rahmen der Bereiche nach Absatz 2 und entsprechend bei den Erhebungen zu den Modulen 1 bis 6 im jeweils betroffenen Bereich erfasst werden. Damit bleiben die entsprechenden Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten für die Beurteilung des Grades der Pflegebedürftigkeit relevant, werden aber über andere Kriterien als bisher erhoben. So führen z. B. bestimmte körperliche oder kognitive Beeinträchtigungen, die in den Bereichen des Absatzes 2 erfasst werden, dazu, dass zugleich auch die Fähigkeit zur eigenständigen Haushaltsführung beeinträchtigt ist. Damit die gleichen Beeinträchtigungen nicht doppelt erfasst und gewertet werden, werden die Beeinträchtigungen bei der Haushaltsführung gesondert erhoben (§ 18 Absatz 5a). Sie dienen einerseits als Grundlage für eine differenzierte Pflegeplanung, andererseits bieten sie Anhaltspunkte für den Leistungsumfang der Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 36. Wie auch in der Begründung zu § 36 klargestellt wird, werden Hilfen bei der Haushaltsführung auch weiterhin gewährt. Dafür hat sich auch der Expertenbeirat ausgesprochen: Aus pflegefachlichen Gründen solle die hauswirtschaftliche Versorgung Bestandteil der Leistungen der Pflegeversicherung bleiben (siehe S. 32 des Abschlussberichts vom 27. Juni 2013).“ (Quelle: Bt-Ds 18/5926)